Zerlegt geliefert – als Ganzes eingereiht: Zollrechtliche Einreihung komplexer Anlagen nach Allgemeiner Vorschrift 2a des Harmonisierten Systems
1. April 2025

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1. April 2025
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Für viele Unternehmen ist die korrekte zolltarifliche Behandlung komplexer Maschinen oder Industrieanlagen, die zerlegt geliefert werden, von zentraler Bedeutung. Der rechtliche Rahmen ergibt sich aus der Allgemeinen Vorschrift 2a zur Auslegung des Harmonisierten Systems.
Sie schreibt vor, unvollständige oder zerlegt gestellte Waren in dieselbe Position einzureihen wie die vollständige Ware – vorausgesetzt, die Teile werden gemeinsam gestellt, sind für die Zusammensetzung zu einem funktionalen Ganzen bestimmt und entsprechen im Wesentlichen dem Charakter der fertigen Ware.
Ein aktuelles Urteil des EuGH (C-107/22, X BV) bestätigt diese Sichtweise und konkretisiert die objektiven Kriterien: Selbst wenn die Ware in mehreren Zollanmeldungen und sogar für unterschiedliche, aber konzernverbundene Unternehmen erfolgt, kann sie bei gleichzeitiger Gestellung und nachgewiesener Zweckbestimmung zur Komplettierung als einheitliche Ware gewertet werden. Entscheidend ist, dass die Zollbehörden erkennen können, dass es sich um eine zusammengehörige Sendung handelt.
Der Gerichtshof betont, dass die Einreihung nicht durch formale Faktoren wie getrennte Anmeldungen oder unterschiedliche zollrechtliche Verfahren verhindert werden darf, sofern objektive Merkmale – wie etwa gemeinsame Verpackung in einem Container, einheitliche Lieferung, identischer Anmelder und eindeutige Montageabsicht – belegen, dass die Teile zusammen eine vollständige Ware bilden. Auch wenn ein Teil der Sendung direkt zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet wird und ein anderer Teil unter dem externen Versandverfahren steht, kann dies unter AV 2a als einheitliche Ware gewertet werden, solange die Zusammengehörigkeit nachgewiesen ist.
Wie werden die Bestandteile einer Seilschwebebahn eingereiht?
Ein praktisches Beispiel aus meiner früheren Tätigkeit als Zollberater unterstreicht die Relevanz: Bei der Lieferung einer Seilschwebebahn musste die gesamte Anlage aufgrund ihrer Dimensionen auf mehrere Container verteilt werden.
Obwohl sich die Komponenten teils stark unterscheiden – vom Motor über die Kabinen bis hin zu den Stützen – wurde die gesamte Lieferung unter der Zolltarifnummer 84286000 („Seilbahnen, Skilifte und Sessellifte“) klassifiziert. Diese Vorgehensweise war nicht nur aus logistischer Sicht sinnvoll, sondern auch rechtlich korrekt. Im Sinne der AV 2a handelt es sich trotz der physischen Trennung um eine funktionale Einheit.
Das Urteil C-107/22 liefert für solche Fälle eine wichtige Klarstellung: Die zolltarifliche Betrachtung hat sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Zusammenhang zu richten, nicht nach formalen Unterschieden in der Gestellung oder Anmeldung. Würde man dies anders sehen, könnten Importeure durch rein organisatorische Maßnahmen – wie getrennte Anmeldungen oder Versandverfahren – Einfluss auf die tarifliche Einreihung nehmen. Genau das soll durch die einheitliche Anwendung der AV 2a verhindert werden.
Auch die Zusätzliche Anmerkung 3 zum Abschnitt XVI weist entsprechend darauf hin:
Auf Antrag des Anmelders und bei Beachtung der von den zuständigen Behörden festzusetzenden Voraussetzungen werden die Bestimmungen der Allgemeinen Vorschrift 2 Buchstabe a) auch auf Maschinen angewendet, die in Teilsendungen ein- oder ausgehen.
Auch für die Bestimmung des (nicht-)präferenziellen Ursprungs entscheidend
Diese einheitliche zolltarifliche Betrachtung ist nicht nur für die Zollabfertigung entscheidend, sondern spielt auch bei der (präferenziellen) Ursprungsbestimmung eine wesentliche Rolle. Bei Freihandelsabkommen wird in der Regel auf die fertige Ware als Ganzes abgestellt.
Nur wenn alle Komponenten unter dieselbe Position (hier 8428) eingereiht werden können, lässt sich die Ursprungskalkulation über eine konsolidierte Stückliste (BOM) sauber durchführen. Einzelne Teillieferungen mit abweichenden Tarifnummern würden hier zu Inkonsistenzen führen und könnten im Zweifel die Inanspruchnahme von Zollpräferenzen gefährden.
Die Einreihung zerlegt gelieferter Maschinen erfordert daher nicht nur fundiertes zollrechtliches Know-how, sondern auch eine enge Abstimmung mit Logistik und Vertrieb. Nur wer den Gesamtzusammenhang erfasst und bereits im Vorfeld transparent dokumentiert, kann rechtssicher und effizient abwickeln – sowohl zollrechtlich als auch ursprungsrechtlich.